Dustin, 19 Jahre, begann nach dem Realschulabschluß sein FSJ in einer Altenpflegeeinrichtung. Sein Berufswunsch ist Altenpfleger, er beginnt im Herbst mit seiner Ausbildung.
Ich fühle mich echt gut im FSJ. Ich gehe gerne zur Arbeit, mit den Mitarbeitern komme ich super klar und auch mit den ganzen Bewohnern und Bewohnerinnen, das macht echt Spaß. Wenn mittwochs Visite ist und der Arzt kommt, bleibe ich auch schon mal länger, weil die Schwester ja mitgehen muss. Dann kümmere ich mich um die Leute auf der Etage. Ich fange im Herbst die Ausbildung als Altenpfleger an. Ich hätte vorher niemals gedacht, dass es mir so viel Spaß macht, mit den Menschen zu arbeiten, aber seitdem ich da bin, möchte ich gar nicht mehr gehen. Deshalb mache ich jetzt die Ausbildung. Meine Freunde haben kein Problem damit, die haben Respekt, dass ich das mache, die könnten das nicht.
Vor meinem FSJ hatte ich nicht viele Erfahrungen mit älteren Menschen. Wir hatten eine ältere Nachbarin, die hat mir immer Geschichten erzählt von Balkon zu Balkon, da habe ich schon immer gerne zugehört. Das war aber auch so der einzige Kontakt. Deshalb habe ich am Anfang des FSJ erstmal nur in der Küche gearbeitet, weil ich mir das nicht so zugetraut habe. Aber je länger ich da war, umso mehr kam das dann.
Mein Opa spielt eine wichtige Rolle für mich, aber der war sehr jung, als er bei einem Arbeitsunfall gestorben ist. Der andere Opa ist auch relativ früh gestorben, ich bin so seit 10 Jahren ohne Opa. Aber zum Glück sind beide Omas noch da. Ja meine Beziehung zu ihnen hat sich schon geändert, seit ich im FSJ bin. Die eine Oma ist noch recht jung, die ist erst 57. Die andere ist etwas älter, schon über 70, die kann vieles auch nicht mehr so. Der helfe ich schon mal, zum Beispiel wenn wir uns treffen zum Essen mit der Familie, dann nehme ich sie schon mal an den Arm. Dann gehen wir zusammen ein Stück, wenn sie nicht mehr alleine weiter kann. Ich habe jetzt mehr das Auge dafür, ich sehe halt, dass sie nicht mehr so gut alleine kann, weil ich sie direkt vergleichen kann mit den Menschen, die wir zum Beispiel bei uns auf der Arbeit haben.
- Was heißt für Sie „Alt sein“?
Ich finde, man ist alt, wenn man nicht mehr das machen kann, was man möchte. Weil es einfach körperlich oder geistig nicht geht. Wenn man auf fremde Hilfe angewiesen ist oder auf Hilfe von der Familie. Ja, wenn man einfach nicht mehr selber für sich sorgen kann. Früher habe ich auch gedacht, mit 55 ist man schon ein alter Herr. Aber wenn ich jetzt so überlege, dass wir 95 jährige auf der Arbeit haben, dann würde ich mittlerweile eher da sagen, das ist alt.
- Nennen Sie fünf Begriffe, die Ihnen spontan zu Ihrer Zeit in der Altenpflege einfallen.
Spaß – Trauer – Mitleid – Krankheiten
Zum Spaß fällt mir ein, dass viele jüngere Menschen auch nicht denken, dass man Spaß in der Altenpflege haben könnte. Aber ich habe eigentlich jedes Mal etwas zu lachen, wenn ich zum Beispiel Witze mache, und die Leute dann mal lächeln können… Einmal war was ganz Lustiges, da hatten die Bewohner und Bewohnerinnen eine Spielrunde und anschließend Gymnastik. Dann hatten sie eine Pause und haben dabei noch Gehirntraining gemacht. Sie sind das Alphabet durchgegangen und sollten zu jedem Buchstaben einen Fisch nennen. Die eine Frau hatte dann den Buchstaben „J“ und war am überlegen und am überlegen. Dann fragte die Betreuungsassistentin: „Haben Sie denn einen Fisch?“ und sie sagte: „Ja, ich habe einen: Joldfisch!“ Das war in diesem Moment so lustig.
Zur Trauer – da bin ich eigentlich ganz gelassen. Ich sehe, das ist meist die Endstation für die Leute, sage ich jetzt mal. Von da geht es nicht mehr weiter, wenn sie nicht mehr alleine leben können. Ich sehe das halt so. Fast alle sterben da irgendwann, und ich versuche, die letzte Zeit, die sie noch da sind, halt alles zu ermöglichen, dass sie trotzdem noch Spaß haben können. Dass sie gerne morgens noch aufstehen und zum Frühstück kommen. Ja, wenn dann jemand verstirbt, ist es auch oft das Beste für ihn. Ja doch, wir haben Bewohner, die sind sehr gerne da, die haben auch Spaß, die können auch noch lachen.
Früher hatte ich echt Angst vor dem Tod. Ich lag dann nachts im Bett und dachte, wenn ich schlafe und denke an nichts, dann würde das so sein, als wenn ich tot wäre. Als würde ich schlafen und nicht mehr aufwachen. Richtig Angst vor dem Tod habe ich nicht, weil für viele ist es auch eine Erleichterung, wenn sie sich so quälen. Ich glaube auch an ein Leben nach dem Tod. Mit den Bewohnern und Bewohnerinnen habe ich nur selten mal gesprochen, was sie meinen, was nach dem Tod kommen wird. Man muss mit dem Thema im Seniorenheim aufpassen. Man weiß nicht wie jeder damit umgeht. Ich warte eher, ob das Thema von den Senioren ausgeht.
- Welche besondere Begebenheit während Ihres FSJ fällt Ihnen ein, die Sie nie vergessen werden?
Da war mal die Situation, da haben wir eine neue Bewohnerin bekommen, die hat sich noch nicht wohl gefühlt und musste sich erst mal einleben. Sie konnte auch sehr beleidigend sein. Einmal war ihre ganze Familie zu Besuch, da hat sie ihren Enkel in den Arm genommen und sagte: „Das ist so ein lieber Kerl.“ Dann hat sie auf mich gezeigt und hat mich vor der ganzen Familie als Arschloch bezeichnet. Das war noch relativ am Anfang des FSJ und das war wie ein kleiner Schockmoment für mich. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich denke mal, weil es noch so am Anfang war, werde ich´s niemals vergessen. In der Situation habe ich mich erst mal bemüht, habe erst mal Kaffee gekocht für die Familie. Die Familie war ganz locker, die Tochter kam dann auch zu mir und hat gesagt, ja, sie ist halt so. Man könnte auch ruhig dagegen angehen und seine Meinung sagen, die braucht das. Ich soll mir das nicht zu Herzen nehmen. Ich bin da aber auch ganz locker, wenn mich mal jemand beleidigt, lächle ich und das war´s. Aber da war es am Anfang und vor der ganzen Familie. Da dachte ich, du meine Güte, was denken die denn jetzt von mir? Sie hat auch mal einen Becher mit Wasser hinter mir hergeworfen. Ich habe dann gefragt: „Was ist denn Ihr Problem?“ und sie hat gesagt: „Sie sind mein Problem!“ Aber mittlerweile verstehen wir uns ganz gut. Na ja, es war halt eine neue Situation für sie und sie musste sich auch erst mal einleben.
- Gibt es für Sie Vorbilder, wenn Sie ans Altwerden / Alt sein denken?
Also Vorbilder eigentlich nicht, ich denke jeder lebt auf seine eigene Art und Weise. Man muss einfach gucken, wie es für einen selbst am besten ist. Vorbilder ist eher etwas wenn man jung ist. Dann sagt man, ich möchte so werden wie der, oder ich möchte genau so leben.
- Was imponiert Ihnen bei alten Menschen?
Ja wir haben eine Frau mit Parkinson, die lässt sich das nicht anmerken, die lächelt und erzählt Witze. Das finde ich gut, dass sie nicht so an die Krankheit denkt und einfach ihr Leben lebt. Das imponiert mir.
- Was bedeutet für Sie „Weisheit im Alter“? Kann ein von Demenz betroffener Mensch für Sie weise sein?
Tja weise – ich weiß nicht. Vielleicht wenn man von jemandem etwas lernen kann? Ich erinnere mich an eine Dame, die war dement. Es war Morgen und ich hatte ihr das Frühstück angereicht, und dann haben wir uns unterhalten. Dann sagte sie zu mir: „Je mehr man weiß, desto mehr grübelt man.“ Also desto mehr denkt man auch nach. Das empfand ich schon so wie eine Lebensweisheit. Ich mache mir auch viele Gedanken, wie ich halt etwas am besten mache, oder was ich halt am besten sage. Diese Art des Grübelns hat Vor- und Nachteile. Aber ich kann das auch im Team teilen, wir haben echt ein nettes Team. Ich komme mit allen super klar.
- Nennen Sie drei Charaktereigenschaften, die Sie im Alter besonders wichtig finden.
Auf jeden Fall Freundlichkeit, dass man freundlich ist zu den Pflegekräften und zu seinen Mitmenschen und Mitbewohnern. Auch Offenheit, dass sie sich nicht schämen vor uns und auf uns zukommen, wenn sie etwas brauchen. Manche trauen sich halt nicht so in der neuen Umgebung, wenn man mit anderen Menschen zusammenlebt. Wir sind ja dann auch neu für sie und manche haben vielleicht das Vertrauen noch nicht so.
- Nennen Sie Farben, die Sie mit Ihrer Zeit in der Altenpflege verbinden.
Auf jeden Fall Schwarz für die Trauer, weil man doch ziemlich oft mit dem Tod in Verbindung kommt. Farben fallen mir nicht so ein, welche Farbe hätte denn Spaß? Wenn mir ein Lied einfallen soll, dann „Ein bisschen Spaß muss sein“. Jeden Donnerstag wird gesungen, da kommt die Nichte einer Bewohnerin, die bringt dann Musik mit und dann werden ganz alte Lieder gesungen. Und zum Abschluss singen wir immer das „Vater Unser“.
Ich erlebe mehr Spaß als Trauer. Ich habe jeden Tag Spaß auf der Arbeit. Wir haben zum Beispiel auch einen Herrn, der muss alles mit einem Spruch kommentieren, das ist ein ganz Lustiger.
- Gibt es etwas, was Sie besonders traurig gemacht hat?
Eine Frau lag auf ihrem Zimmer, es ging ihr gar nicht gut, und ich habe ihr das Essen angereicht. Dann hat sie mir gesagt, sie möchte nicht mehr leben, sie möchte gerne in den Himmel. Das war schon traurig, weil man ihr bei sowas nicht helfen kann. Es steht nicht in unserer Macht, wann es soweit ist. Das hat einen schon ein bisschen mitgenommen, weil man in dem Moment nicht helfen konnte. Weil es ja eine Entscheidung vom lieben Gott ist.
Vor ein paar Tagen hat mir eine Bewohnerin gesagt, dass es ihr nicht gut geht. Sie denkt auch, dass es auch nicht mehr besser wird. Da hab´ ich ihr gesagt: „Ach, Sie müssen nur dran glauben.“ Da hat sie gesagt: „Genau, wenn man dran glaubt, dann kann das auch wieder werden.“ Ich habe ihr dann gesagt: „Sehen Sie, so müssen Sie denken und daran glauben.“
- Woher nehmen/nahmen Sie die Kraft, wie schützen Sie sich, wie grenzen Sie sich ab, was ist Ihr Ausgleich?
Ich denke die Kraft nehme ich daher, weil ich immer gerne zur Arbeit gehe und immer Spaß habe mit den Leuten. Und ich weiß, dass ich etwas Gutes für die Leute tue, wenn man mal eben so ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ja, daher kommt die Kraft. Und schützen? In der Schule heißt es, man soll die Leute nicht zu nah an sich ran lassen, aber ich finde, das ist gar nicht möglich. Man hat schon so seine Sympathien auf der Arbeit.
Ich kann eigentlich ganz gut abschalten, auch so im Urlaub. Viele können das ja nicht, die denken dann im Urlaub noch an die Arbeit. Am ersten Urlaubstag habe ich auch noch gedacht, na – was machen die jetzt alle? Aber dann ging´s eigentlich. Ich bin dann wieder froh auf der Arbeit zu sein, von daher kann ich das ganz gut trennen.
Zum Ausgleich unternehme ich viel mit Freunden und der Familie. Freunde sind echt wichtig für mich. Die machen alle etwas Unterschiedliches, da kann jeder was anderes erzählen von der Arbeit. Ja ich möchte gerne mal Familie haben, eine Frau und zwei, drei Kinder. Am besten Zwillinge, ein Mädchen und einen Jungen, dann sind alle glücklich…
- Was hätten Sie gebraucht?
Das wichtigste ist ein Ansprechpartner. Wenn man doch jemanden sehr nah an sich rangelassen hat, der dann verstirbt, dann kann das mit der Trauer dauern. Da braucht man schon einen Ansprechpartner.
- Wenn Sie in Ihrem FSJ Zauberkräfte gehabt hätten, wie hätten Sie sie eingesetzt?
Das ideale Altenheim? Das wichtigste, was ich mir wünsche ist, dass die Leute keine Schmerzen haben, dass sie nicht leiden, wenn sie morgens aufstehen. Ohne Schmerzen, dass sie auch lächeln können und sich keine Sorgen machen müssen, wie es jetzt weitergeht. Geld spielt dann auch eine Rolle, das bekomme ich auch öfters mit. Da ist eine Dame, die muss so viel für Medikamente bezahlen, da bleibt am Ende des Monats nicht wirklich viel für sie selbst übrig. Sie geht dann nur einmal im Monat zum Friseur und sie muss ja auch die Telefonrechnung bezahlen.
Vielleicht würde ich noch einen Gruppenraum wollen, wo die Beschäftigung stattfinden könnte. Das wird bisher im Wohnbereich gemacht, und wenn die Pfleger vorbeilaufen, lenkt das manchen ab. Ja, ein Gruppenraum wäre schön.
- Wenn Sie sich Ihr eigenes Alter vorstellen, welche Farben sehen Sie?
Wie ich mir mein Alter vorstelle? Ja ich würde auch ins Altenpflegeheim gehen, weil ich weiß, dass man sich da gut um einen kümmert. Ich glaube meine Kinder und Enkelkinder hätten es nicht so schwer mich ins Heim zu bringen, weil ich ja weiß, was da los ist. Deshalb ist es für mich dann, wenn es soweit ist, einfacher zu akzeptieren, weil ich ja dann viel dort gearbeitet hatte.
Meine Oma fällt jetzt auch immer öfters. Der haben wir auch schon mal vorgeschlagen, wie sieht´s denn aus mit einem Altenheim? Die müsste man erst mal überreden, das ist halt schwierig. Deshalb denke ich, ist es für mich einfacher, weil ich weiß, wie es da abläuft. An sozialen Sachen läuft eigentlich viel ab, wir haben Kochen, Spazierengehen, Gruppenangebote, Singen und so weiter.
- Wenn Sie zwei Wünsche für Ihren letzten Lebensabschnitt frei hätten, was wäre das?
Ich möchte auf jeden Fall nicht alleine sein. Ich möchte, wenn ich im Altenheim bin, dass mich meine Familie und Freunde noch besuchen. Ja, und dass ich mich trotz Alter und Krankheit, da wo ich dann sein werde, noch wohl fühlen kann. Das hat auch viel mit der Familie zu tun, wenn man dann trotzdem noch beisammen ist. Bei Sommerfesten oder der Weihnachtsfeier kreuzen die Leute immer an, wie viele Verwandte oder Freunde zu ihnen kommen. Bei manchen kam dann halt keiner – und das an Weihnachten. Das tut einem dann sehr leid.
- Was möchten Sie auf keinen Fall erleben, wenn Sie alt sind?
Was ich auf gar keinen Fall erleben möchte, ist, dass ich dann im Bett liegen muss und leide. Das ist, wenn man das so mitbekommt, bei manchen Leuten… nein – das ist schwierig, wenn sich jemand rumquält. Sich so am Leben halten und drauf warten, dass es vorbei ist, nein, das möchte ich auf keinen Fall. Lieber einschlafen und morgens nicht mehr aufwachen.
- Was stellen Sie sich im Alter unter Glück vor?
Im Alter ist es schon ein Glück, wenn man morgens aufsteht und keine Schmerzen hat. Wir hatten auch letztens eine Bewohnerin, die hatte Verstopfung und hatte eine Woche nicht mehr abgeführt, und dann kam sie und sagte: „Dustin, heute hat´s geklappt, ich konnte mein Geschäft erledigen.“ Und sie war so glücklich, die hätte am liebsten eine Party geschmissen. Da kann man sehen, wie glücklich man wegen so etwas sein kann. Ja, seit ich da arbeite bin ich offener geworden. Ich fühle mich wohl mit älteren Menschen. Früher habe ich gedacht, warum soll man denn mit älteren Leuten etwas machen, wenn man seine Kumpels im gleichen Alter hat? Aber mittlerweile, bin ich offener geworden und genieße die Zeit und lasse mehr an mich ran. Wenn die Leute zum Beispiel nicht mehr lachen, weil es für sie nichts mehr zu lachen gibt, dann mache ich irgendwelche Sperenzchen oder erzähle einen Witz. Dann sehe ich, dass eine Frau, die den ganzen Tag nur im Rollstuhl sitzt, nach vorne schaut und auf einmal lächelt – das gibt einem sehr viel. Weil man sieht, dass man etwas Gutes macht. Dass man Leute, die nichts mehr zu lachen haben wegen ihrer ganzen Krankheiten, mal zum Lächeln bringt. Dieser eine Augenblick, wenn sie mal alles vergessen können, das ist schon toll.
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, so ein FSJ zu machen. Auf jeden Fall. Vor meinem FSJ hatte ich in einem Kindergarten gearbeitet, das hat mir auch sehr viel Spaß gemacht. Hätte mich vor einem Jahr jemand gefragt, ob ich Altenpfleger werden möchte, hätte ich niemals gesagt, ja gerne. Aber wie gesagt, seitdem ich da bin, fühle ich mich so wohl mit den Leuten, mit dem Team, mit den älteren Herrschaften – also echt, das hätte ich niemals gedacht.
- Welche Frage würden Sie sich selber stellen?
Wenn ich mir die Frage stellen würde, ob es genau das ist, was ich beruflich machen möchte, würde ich mit einem ganz klaren „Ja“ darauf antworten.